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Vom Allier zur Loire: Einblicke in naturnahe Flusslandschaften in Frankreich

Veröffentlicht am: 20. Dezember 2016

Vortrag von Prof. Dr. Emil Dister am Donnerstag, 12. Januar 2017, 18.00 Uhr, HFR / Hörsaal West

In seinem reich bebilderten Vortrag bringt uns Prof. Dr Emil Dister zu den Flüssen Allier und Loire in Zentralfrankeich. Der Allier, ein Fluss etwa von der Größe des Neckars, der sich bei Nevers (Burgund) mit der Loire vereinigt, darf sogar als der naturnächste, größere Fluss in Mittel- und Westeuropa gelten. Bis kurz vor den Mündungsbereich wird er durch keinerlei Dämme eingeengt. Er kann seinen Lauf frei in der Aue verlagern, ja er kann sogar das Hochufer angreifen, somit die Aue vergrößern und dabei hohe Steilwände schaffen. Im Rhythmus von Hoch- und Niedrigwasser verändert sich das Aussehen der gesamten Flusslandschaft. Das Abschnüren von Flussschleifen, das Entstehen und Vergehen von Flussbetten und Flussinseln – Prozesse, die wir vom Rhein oder der Elbe nur aus der Literatur kennen - können hier innerhalb eines Menschenlebens gleich mehrfach beobachtet und studiert werden. Als Maßstab für mitteleuropäische Flüsse und als Studienobjekt für das Verständnis von natürlichen, dynamischen Prozessen in der Aue ist der Allier von enormer Bedeutung. Die ähnlich naturnahe, mittlere Loire, die zwar eingedeicht ist, zeigt dennoch innerhalb der Dämme ihre kaum eingeschränkte Flussdynamik, ab der Allier-Mündung (Bec d’Allier) sogar in einer noch größeren Dimension.

Unter solchen Bedingungen finden sich natürlich auch Lebensgemeinschaften und Arten, die in mitteleuropäischen Gewässern selten geworden oder schon lange verschwunden sind. Hier brüten z.B. noch Zwergseeschwalben (Sterna albifrons) und Triele (Burhinus oedicnemus) auf den Kies- und Sandbänken im Fluss. Großflächig verjüngen sich Weichholzauenwälder aus der echten Schwarzpappel (Populus nigra), in den hoch aufgeschütteten, trockenen Kiesinseln gedeihen Trockenrasen-Arten und sogar sukkulente Pflanzen wie verschiedenen Mauerpfeffer-Arten inmitten des Flussbettes.

Natürlich bereiten solche dynamischen Flüsse den Anwohnern und den für die Infrastruktur Verantwortlichen immer wieder Sorgen. Um diese Flüsse in ihrer Natürlichkeit zu erhalten und gleichzeitig aber auch Schäden an Grundstücken, Gebäuden und Infrastruktur abzuwenden, wurde für den Allier das Konzept des „Espace de Liberté“ (Freier Pendelraum) entwickelt. Dabei wird ein aufgrund flussmorphologischer Kriterien ein Korridor ausgewiesen, in dem sich der Fluß frei bewegen kann. Die öffentliche Hand und ein bestimmter Typ privater Naturschutzorganisationen (Conservatoire des Sites) versuchen, diesen Korridor nach flussmorphologischen Prioritäten im Lauf der Jahre in ihr Eigentum zu bringen. Auch einzelne Bauernhöfe werden dabei aufgekauft. Sollte der Fluss diesen Korridor verlassen wollen oder bestehende Infrastruktur (z.B. Brücken) angreifen, so wird er mit sanften flussbaulichen Methoden abgelenkt. Dieses Konzept wurde in Frankreich sogar in der Umweltgesetzgebung verankert.

Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass der Allier und besonders die Loire an ihren Ufern eine Reihe von kulturhistorisch höchst interessanten Stätten aufweisen, die mit der Naturlandschaft eine selten zu findende, harmonische Einheit bilden.

Zum Referenten: Prof. Dr. Emil Dister ist einer der weltweit bekanntesten Experten zu Fragen der Fließgewässer und ihrer Auen. Er war langjähriger Leiter des Aueninstituts am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und setzt sich seit Jahrzehnten weltweit für den Erhalt und die Renaturierung von Flussauen ein. Für sein Engagement erhielt Prof. Dr. Emil Dister 2008 das Bundesverdienstkreuz am Bande; im Jahr 2013 wurde ihm der Ehrenpreis des Deutschen Naturschutzes vom Bundesumweltministerium verliehen. Auf seiner Philosophie “den Flüssen wieder mehr Raum geben“, so die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz Frau Prof. Dr. Beate Jessel in ihre Laudatio, begründet sich auch maßgeblich das sogenannte Integrierte Rheinprogramm. Mit diesem Programm will Baden-Württemberg seit den 1990er Jahren Hochwasser- und Auenschutzmaßnahmen gleichrangig realisieren.

Donnerstag, 12. Januar 2017, 18.00 Uhr, HFR / Hörsaal West