Unsere Wälder müssen wilder werden
Veröffentlicht am: 02. Dezember 2015
Öffentlicher Vortrag von Lutz Fähser am 03. Dezember 2015 an der HFR.
Zur Definition:
Wälder sind selbst-organisierte Ökosysteme im permanenten Anpassungsprozess;
Forsten sind Menschen-organisierte Kulturen, deren planmäßiger Erfolg künstlich herbeigeführt wird; Wirtschaftswälder sind eine Mischung aus Wäldern (Natur) und Forsten (Kultur).
Während natürliche Wälder durch jahrtausendlange kontinuierliche ökologische Prozesse charakterisiert sind und alle Lebensphasen in räumlich und zeitlicher Kontinuität präsent sind, haben die Wirtschaftswälder in Deutschland nur eine vergleichsweise kurze Gestaltungskultur, die kaum länger als 300 Jahre zurückreicht. Diese ist mit zahlreichen Defiziten begleitet, wie z.B.:
- eingeengte genetische Variabilität der Baumarten (Züchtung, zugelassenes Saatgut,…)
- monotone Zusammensetzung der Baumarten Reinbestände, wenige Mischbaumarten,…)
- gelenkte Erneuerung (Saat, Pflanzung, bestimmte Baumarten, vorzeitige Naturverjüngung, Pflege)
- behinderte Eigenentwicklung bzw. Anpassung (intensive Pflege- und Ernteeingriffe, …)
Für die den Wirtschaftsbetrieb ergeben sich daraus reale und erhebliche Nachteile, wie z.B.:
- viele Wirtschaftswälder können sich nicht selbständig an ihren Standort und an Klimawandel anpassen
- viele Wirtschaftswälder sind durch „Lebensrisiken“ und damit des Erreichens der Produktionsziele begleitet
- viele Wirtschaftswälder sind durch hohe Kosten und zu geringe Marktleistungen belastet
- viele Wirtschaftswälder sind ökologisch, sozial und ökonomisch nicht „nachhaltig“
Durch die Abkehr von einer eingriffsintensiven, kontinuierlich gestaltenden, auf hohen Holzmassener-trag konzentrierten Forstwirtschaft können Verbesserungen erreicht werden. Moderne Waldnutzungskonzepte der „nachhaltigen Entwicklung“ beachten u.a. folgende Prinzipien:
- Annäherung an die Natürliche Waldgesellschaft (statt der künstlichen Forstformation);
- Beschränkung auf natürlich erreichbare Wirtschaftsziele (statt maximaler Holzziele);
- Beachtung des Grundsatzes des Minimalen Einsatzes (minimale Störung, minimale Kosten).
Wirtschaften unter Berücksichtigung dieser Prinzipien führt weltweit zu Erfolgen und das unabhängig von den Standorten. Auch anspruchsvoller Wald-Zertifizierungen, die den Nachhaltigkeitszielen im Sinne des Umweltgipfels in Rio de Janeiro von 1992 entsprechen, können so vergleichsweise einfach umgesetzt werden.
Der Vortrag erläutert diese Position auf der Basis inländischer und ausländischer Erfahrungen.
Zum Referenten: Dr. Lutz Fähser war bis zu seiner Pensionierung, Leiter des „Bereiches Stadtwald" der Hansestadt Lübeck. Lutz Fähser studierte Forstwissenschaft in Freiburg und München. Für seine Promotion zum Thema „Das pragmatische Informationssystem von Betrieben" erhielt er 1977 den Wissenschaftspreis der Universität Freiburg. Wichtige berufliche Stationen waren (1) Tätigkeiten in der Hessischen Staatsforstverwaltung, (2) mehrjährige Forschungsaufenthalte zur Thematik von Bewirtschaftungskonzepten an der Universität Curitiba/Brasilien, (3) Leitung des Großprivatwalds „Sachsenwald" bei Hamburg, (4) Leiter der Abteilung Ökonomie am Institut für Weltforstwirtschaft der Bundesforschungsanstalt in Hamburg. Von 1986 bis Ende 2009, also 23 Jahre lang, leitete Dr. Fähser das Forstamt der Stadt Lübeck. In dieser Zeit vergrößerte sich die Verwaltungsfläche um 20 % auf heute 5 200 ha. Der Holzvorrat pro Hektar wuchs um 23 % auf heute 370 Vfm/ha an.
Über die Grenzen Lübecks hinaus wurde Dr. Fähser bekannt durch das 1994 eingeführte Konzept der „Naturnahen Waldnutzung". Dieses strebt in den Wirtschaftswäldern u.a. eine hohe Naturnähe an, verfolgt die betrieblichen Ziele mit einem Minimum an Eingriffen und weist auf 10 % der Fläche „Referenzflächen" als Lernflächen für natürliche Entwicklung aus. Dieses „Lübeck-Konzept" erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. von der Europäischen Papierindustrie, von der damaligen Bundesumweltministerin Merkel und vom Bundesamt für Naturschutz (BfN). Die Ergebnisse von über 20 wissenschaftlichen Arbeiten deuten darauf hin, dass der Lübecker Stadtwald bis zu seiner völligen Umstellung in 25 Jahren optimal strukturiert sein kann. Das bedeutet hohe naturale Produktivität, geringes Risiko, nachhaltig hoher finanzieller Reinertrag und eine intensive Erholungs- und Erlebnisattraktion.
DATUM: 03.12.2015 | 18:00 Uhr
ORT: HFR, Hörsaal West