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Grenzumgang im Stadtwald

Veröffentlicht am: 30. November 2022

Revierleiter Truffner steht vor einem Grenzstein im Wald

Grenzen trennen zwischen Dein und Mein. Grenzmarkierungen dienen dazu, den Übergang zwischen Grundeigentümern präzise erkennbar zu machen. Sie dienen damit der Rechtssicherheit. "Fences make good neighbours" heißt es nicht ohne Grund im Englischen.

Bevor es GPS-Satelliten und moderne Karten gab, traf dies genauso zu. Wie aber konnte der genaue Verlauf der Gemarkungsgrenze zwischen zwei Gemeinden damals gesichert und Vorsorge getroffen werden, dass niemand Grenzsteine einfach mal so verrückte? Das ging nur durch die Weitergabe der Kenntnis über die Grenzverläufe von Generation zu Generation. Grenzmarken wurden stets von den Grenzbeauftragten der benachbarten Gemeinden, den Untergängern, gemeinsam gesetzt und durch ganz persönliche, anderen nicht bekannte Kennzeichen bezeugt. Solche unter einem Grenzstein verborgenen Zeugen konnten gebrochene Ziegel, Scherben oder bunte Steine sein. Die jungen Leute aus den Dörfern mussten jedes Jahr am Grenzumgang teilnehmen. Damit sie sich einen Grenzpunkt ja merkten, wurde an dessen Standort manchmal auch kräftig zugelangt: eine Ohrfeige oder Tracht Prügel vom Untergänger brannte die Erinnerung an die Standorte wichtiger Grenzsteine tief ins Gedächtnis der nächsten Generation ein.

In der Tradition des Grenzumgangs, die in Württemberg bis Mitte des 19. Jhdts. ausgeübt wurde, zogen am 21. November 2022 die Bachelor-Studierenden des Kurses Forstgeschichte zu einem Markungsrundgang im Stadtwald Rottenburg aus. Unter Führung eines erfahrenen Untergängers, in diesem Fall Alt-Revierförster Lorenz Truffner, wurden die Grenzen zwischen der Stadt, dem Staatswald und dem ehemaligen Kiebinger Gemeindewald abgegangen. Auf körperliche Züchtigungen wird im 21. Jhdt. aus guten Gründen verzichtet. Stattdessen trug Lorenz Truffner zahlreiche Geschichten über den Stadtwald und seine Vergangenheit sachkundig und anschaulich vor. Es darf wohl angenommen werden, dass heutige junge Menschen sich mit diesen Geschichten - oder wissenschaftlich ausgedrückt Narrativen - das Wissen um die Grenzverläufe viel besser einprägen können als die harten Methoden der Vergangenheit dies je schaffen konnten. Vielen Dank lieber Lorenz Truffner für diesen außergewöhnlichen Nachmittag im Wald!