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Ein wenig Abstand vom Krieg

Veröffentlicht am: 07. Dezember 2022

Die Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) unterhält partnerschaftliche Beziehungen zur Nationalen Forsttechnischen Universität der Ukraine in Lwiw. Es war für die Hochschulangehörigen deshalb sofort klar, dass sie das Eugen-Bolz-Gymnasium in Rottenburg (EBG) dabei unterstützen wollen, 31 Jugendlichen aus der Ukraine für einige Tage nach Rottenburg einzuladen, um Abstand vom Krieg in ihrer Heimat zu gewinnen.

Studierende musizieren vor einer Waldhütte bei Nacht. Zuschauer stehen drumherum.

Die HFR steht auch in diesen Tagen in einem ständigen Kontakt mit den Kolleg*innen der Partneruni in der Westukraine. Da aber die allermeisten ihrer Studierenden junge Männer – und damit im wehrfähigen Alter sind, dürfen sie nicht das Land verlassen und viele sind zurzeit Soldaten. Mit der Unterstützung der Baden-Württemberg-Stiftung konnte die HFR vor wenigen Wochen eine Ausrüstung zur Digitalisierung von Lehrveranstaltungen in die Ukraine bringen, so dass die Professor*innen ihre Lehrveranstaltungen in der Uni halten und aufzeichnen können und die Studierenden sie immer dann, wenn es die Lage erlaubt, buchstäblich im Schützengraben, ansehen und so weiterstudieren können. Aktuell bemüht sich die HFR um die Beschaffung und den Transport eines größeren Generators zur Stromversorgung der Universität in Lwiw.

Die jährliche Exkursion ukrainischer Masterstudierender nach Baden-Württemberg musste in diesem Jahr wegen des Krieges ausfallen. Da lag es für die HFR nahe, spontan und sehr gerne auf die Anfrage der Verantwortlichen des EBG zu reagieren und die aus der ganzen Ukraine stammenden Jugendlichen an die Hochschule einzuladen. Begleitet werden die Jugendlichen von drei Lehrerinnen ihrer Schule. Die Eltern sind zuhause entweder unabkömmlich, im Krieg getötet worden, wollen die Familie nicht auseinanderreißen und die Mütter mit den Kindern ins Ausland schicken, während die Väter im umkämpften Land bleiben müssen, und die meisten der Kinder stammen aus Verhältnissen, die sich eine solche Reise alleine nicht hätten leisten können.

„Wir sind den helfenden Lehrerinnen und Lehrern, der Schulsozialarbeiterin, den Eltern und vor allem den Schülerinnen und Schülern des EBG sehr dankbar für diese wunderbare Initiative“, sagt Rektor Bastian Kaiser, „gerne würden wir ein vergleichbares Angebot auch unserer `Zielgruppe´- den Studierenden - machen, aber die können zurzeit nicht aus dem Land. Es ist unmöglich, `Urlaub vom Krieg´ zu machen, aber zumindest ein wenig Abstand vom Krieg zu gewinnen, könnte schon helfen.
Da helfen wir gerne mit!“

So kam die Jugendgruppe nach ihrer zweitägigen Busreise aus Lwiw nach Rottenburg gleich am ersten Nachmittag an die HFR, wo sie von Professor*innen, Mitarbeitenden und von Studierenden der Hochschule empfangen wurden. Bei Tee und Gebäck in der Mensa, Stockbrot am Lagerfeuer, einem Besuch in der wildbiologischen Sammlung der Hochschule, im Kontakt mit dem einen oder anderen (Jagd-)Hund und beim Tischtennisspiel im Nieselregen fanden die Gäste ein bisschen Ablenkung. Die HFR-Angehörigen erfuhren aus erster Hand, welch belastende Erfahrungen die Jugendlichen seit dem 24. Februar zuhause gemacht haben und wie schwer der Alltag in einem Land im Krieg - oft ohne Strom und ohne Wasser – tatsächlich ist.

Umso schöner war es für alle Beteiligten mitzuerleben, wie schön und fröhlich die Stimmung an diesem Nachmittag auf dem Hochschul-Campus war. Vielleicht war es das wertvollste - ganz sicher ein ganz besonderes Lachen, das die „Geräuschkulisse“ an der HFR nach und nach eroberte und so auch den Gastgeber*innen half, diesen besonderen Besuch, trotz aller Unsicherheit und Beklommenheit, zu genießen.

Offenbar hat es den Gästen aus der Ukraine an der Hochschule gefallen, denn viele von ihnen folgten am letzten Abend ihres Aufenthalts, am Montag dem 5. Dezember, der Einladung des studentischen Bibelkreises der HFR, der sie und die gastgebenden Familien ausdrücklich und herzlich zur Waldweihnacht im Rammert eingeladen hat. Gleich zwei Bläsergruppen der Studierenden – eine mit verschiedenen Instrumenten und eine Jagdhorn-Gruppe – sorgten an der Dünnbachhütte für einen vorweihnachtlich-feierlichen Rahmen. Als ganz besondere Geste hatten die studentischen Musikerinnen und Musiker kurzfristig ein Lied einstudiert, mit dem zurzeit in der Ukraine jeder Gottesdienst endet – ein Lied, das dort zu einer Hymne der Freiheit und des Friedens geworden ist.

Eine feierliche, fröhliche und zugleich nachdenkliche Stimmung prägte schon den gemeinsamen Spaziergang der Teilnehmenden vom Waldparkplatz, die Waldsteige hinauf bis zur Hütte, der von lodernden Schwedenfeuern flankiert und von besinnlichen Halts unterbrochen wurde. An der Hütte angekommen wurde gemeinsam gesungen, bevor man bei Punsch und Glühwein, an Schwedenfeuern und Grillstellen miteinander ins Gespräch kam, Stockbrot und Weihnachtsgebäck genoss und den Gedanken daran verdrängte, dass die ukrainischen Jugendlichen schon am nächsten Tag ihre Heimreise antreten würden. Zurück in ihr Land im Krieg.

Hinweis: Die Waldweihnacht ist eine jährliche Aktion des Bibelkreises der Hochschule, dem insbesondere von Studierenden der HFR angehören. Sie laden die Öffentlichkeit alljährlich zu dieser besinnlichen, vorweihnachtlichen Andacht und zum Gespräch an der Dünnbachhütte ein.
Es mag an den Gästen aus der Ukraine und daran gelegen haben, dass die Waldweihnacht zuletzt zweimal wegen Corona ausfallen musste, dass in diesem Jahr so viele Menschen (und Hunde) daran teilgenommen haben, wie vermutlich noch nie. Es waren über 100 Personen.