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Erfahrungsbericht aus dem Praxissemester von Marlene Hertzsch

Veröffentlicht am: 04. Oktober 2021

Teilnahme am REMOTE Projekt in Bosnien-Herzegowina

Gruppenfoto mit den Teilnehmern in einer Gebirgslandschaft

Foto: Martin Dušátko

Im Rahmen meines Praxissemesters hatte ich die Möglichkeit bekommen, im Sommer 2021, am REMOTE (Research on Mountain Temperate Primary Forests) Projekt der ‚University of Life Science Prague’ teilzunehmen. Das Projekt will mit wissenschaftlichen Studien zum Schutz der letzten europäischen Urwälder beitragen. Mit einer Gruppe von 20 anderen jungen WissenschaftlerInnen sind wir nach Bosnien und Herzegowina gefahren. Unser Ziel war der Nationalpark ‚Sutjeska‘ (17.250 ha) im Südosten des Landes und dort das Urwaldgebiet ‚Perućica‘ mit ca. 1.400 ha Fläche. Vor fünf Jahren wurden dort erstmals 48 Aufnahmepunkte angelegt und aufgenommen. Nun haben wir die Feldarbeiten wiederholt und erneut Daten gesammelt, um daraus Erkenntnisse zu Entwicklungen der Flächen zu gewinnen.

Das REMOTE Projekt basiert auf einem System dauerhaft angelegter Aufnahmekreise in verbliebenen Urwäldern in Zentral-, Ost- und Südosteuropa. In acht Ländern wurden bisher dauerhafte Aufnahmepunkte angelegt und Feldarbeiten durchgeführt, darunter in Albanien, Bosnien, Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Serbien, Slowakei und der Ukraine. Mithilfe der Aufnahmepunkte ist es möglich, Daten zu sammeln, die Auskunft über die natürlichen Strukturen im Urwald und durch wiederholte Untersuchungen mit identischer Methodik die Entwicklung einzelner Bäume über einen langen Zeitraum geben.

Während des Projektes haben wir in einfachen Hütten geschlafen und uns selbst essenstechnisch versorgt. Da wir aus vielen Ländern kamen, gab es zahlreiche kulinarische Überraschungen. Für die Untersuchungen hatten wir uns in zwei Arbeitsgruppen aufgeteilt, die unabhängig voneinander gearbeitet haben, mit dem Ziel, dass jede Arbeitsgruppe 24 Probekreise bearbeiten sollte, ein Ziel, das auch beide Teams erfolgreich erreichten.

Die TeilnehmerInnen aus meiner Gruppe kamen aus sechs verschiedenen Ländern. Die Motivationen zur Teilnahme am Projekt waren verschieden: Für manche, wie für mich, war es ein einzigartiges Praktikum, für andere Forschungsarbeit im Rahmen ihrer Dissertationen im Rahmen des REMOTE-Projekts und es gab auch TeilnehmerInnen, für die es ein interessanter Ferienjob war, denn man kann sich auch durchaus für einen saisonalen Job beim REMOTE Projekt bewerben.

Es wurde hauptsächlich Englisch gesprochen; für mich als einzige Deutsche, war das sowieso die Verständigungssprache. Dadurch habe ich mir in kurzer Zeit ein umfangreiches forstliches Fachenglisch aneignen können. Auch einige Wörter  und Floskeln in tschechisch und slowakisch sind hängengeblieben. Und wo die Sprache am Ende war, man versteht sich immer irgendwie und wenn es mit Händen, Füßen oder einem Lächeln ist. 

Ein Fußmarsch jeden Morgen von ca. 1,5 Stunden zu den Aufnahmepunkten war die Regel. Erst über einen schmalen Trampelpfad, dann querfeldein. Mit Hilfe von GPS-Koordinaten wurden die Probekreise im Gelände aufgesucht. Dies gestaltete sich aufgrund der hohen Berge und daher teils schlechten GPS-Signals nicht immer einfach. Glücklicherweise wurden die Mittelpunkte der ‚Plots’ von unseren Vorgängern mit einem Steinhaufen markiert, was die Suche oft erleichterte. Am Punkt angekommen wurde zunächst kurz gerastet und dann das umfangreiche Equipment aufgebaut, das wir im Zentrum der Fläche und in eine Plane eingewickelt als Schutz gegen Regen, deponierten.

Die Arbeiten auf den Probekreisen verlaufen immer nach einem festen Schema. Zunächst wird jeder Baum im Probekreis mithilfe von Azimut und Distanz zum Mittelpunkt identifiziert und mit einer Nummer versehen. Jeder Baum wird vermessen, vorhandene Mikrohabitate am Baum werden erfasst, Veränderungen bzgl. der sozialen Stellung und ‚new mortality‘ werden dokumentiert. Bei den Aufnahmen wird mit einer Reihe von Aufnahmebögen und Codes gearbeitet, die man im Laufe der Zeit kennen und anzuwenden lernt.

Bei der Arbeit auf dem Plot waren die Kaffeepausen von großer Bedeutung, da natürlich nur glückliche ArbeiterInnen gute ArbeiterInnen sind. Da waren sich alle einig!

Außerdem wird die Naturverjüngung im Plot und der vorhandene Verbiss nach Baumarten getrennt aufgenommen. Die Belichtungssituation im Probekreis wird mit einem Fischaugenobjektiv fotografiert. Liegendes Totholz wird auf fünf festgelegten Transekten ebenfalls nach Baumarten getrennt aufgenommen. Hinzu kommen Fotos von Bodenprofilen und die Entnahme von Bodenproben an jedem Plot. Bei neuer Mortalität von einzelnen Bäumen werden Bohrproben an diesen und an Referenzbäumen genommen. Die Bohrproben spielen eine entscheidende Rolle, um die Entwicklung eines Baumes nachvollziehen zu können.

Dendroökologische Analysen ermöglichen es anhand des Jahrringaufbaus auf die natürlichen Walddynamiken zu schließen, also Verjüngung, Wachstum und Mortalität. Auch die Einflüsse durch Klima und andere Störungen auf Bäume und Wälder können dadurch analysiert werden. Die entnommenen Proben werden im Labor aufbereitet und in Prag unter dem Mikroskop untersucht. Besonders im Hinblick auf den Klimawandel sind diese Untersuchungen eine wertvolle Methodik, zu erforschen, wie Waldökosysteme, in unserem Fall die Urwälder, auf Veränderungen in der Zukunft reagieren werden.

Das REMOTE-Projekt erarbeitet ein wissenschaftliches Verständnis der natürlichen Dynamiken in Urwäldern, um den Wert dieser einzigartigen Lebensräume sowie deren wertvolle Funktionen darzustellen und zu schützen.

Immer pünktlich zum Sonnenuntergang sind beide Teams von ihren Plots im Urwald zum Lagerplatz zurückgekommen. Diese einzigartigen Stimmungen am Abend in der grandiosen bosnischen Berglandschaft haben die Anstrengungen des Tages sofort wieder vergessen lassen. Abends wurde am Feuer Musik gemacht und gesungen.

Nach den Erfahrungen, die ich in Bosnien machen durfte, bin ich der Meinung, dass jeder Förster/ jede Försterin mindestens einmal in seiner/ ihrer Ausbildung oder beruflichen Laufbahn einen europäischen Urwald besuchen sollte. Erst dann begreift man, wie sensibel Waldökosysteme sind und welche Verantwortung, im Positiven wie im Negativen, man in seinem Beruf einmal hat. Vor allem „das in Einklang bringen“ von aktivem Naturschutz im Wald und dem nachhaltigen Nutzen der Ressource Holz finde ich jetzt noch spannender. Auch die dringende Notwendigkeit des Schutzes und der Erhaltung der wenigen verbliebenen europäischen Urwälder ist für mich nun sehr viel präsenter und greifbarer.

Die Zeit war unfassbar schön - was nicht zuletzt an dem atemberaubenden Arbeitsplatz und dem fantastischen Team lag! Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich an einem der REMOTE-Projekte teilgenommen habe. 

Ich kann jedem nur ans Herz legen eine solche Chance zu nutzen, wenn sich diese auftun sollte. Gerne gebe ich dazu meine Informationen und Kontakte bei Interesse weiter.