Appell an die Vermieter
Veröffentlicht am: 06. Juli 2020
Die Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) und die Stadt Rottenburg am Neckar lassen durch eine gemeinsame Initiative für die Studierenden aufhorchen: sie appellieren an die Vermieterinnen und Vermieter studentischen Wohnraums, ihren Mieterinnen und Mietern in diesen unsicheren „Corona-Zeiten“ entgegenzukommen.
Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Stadt und Hochschule in Rottenburg appellieren gemeinsam an die Vermieter*innen studentischen Wohnraums, auf die derzeit besonderen Schwierigkeiten für die Studierenden entgegenkommend zu reagieren.
Schon im jetzt zu Ende gehenden Sommersemester mussten viele Studierende erhebliche Kosten tragen, deren Nutzen ihnen verwehrt blieb: Die ab Mitte März eingetretenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens und die Entscheidung der Landesregierung, den Studienbetrieb auszusetzen, traf die Studierenden ebenso unvorbereitet wie die Pandemie, ihre Wucht und Dynamik alle überrascht hat. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Mietverträge längst abgeschlossen, der Semesterbeginn stand unmittelbar bevor – und auch die meisten bereits fest vereinbarten oder sichergeglaubten Nebenjobs und Zusatzverdienste wurden durch die Pandemie-Maßnahmen unmöglich.
Viele Studierende blieben auf den Mietverträgen ihrer Zimmer sitzen, ohne in ihnen wohnen zu können, weil die Hochschulen nahezu alle Lehrveranstaltungen in digitaler Form angeboten haben. Die Präsenz der Studierenden war damit nicht nur unnötig, sie war auch aus gesundheitspolitischen Gründen nicht erwünscht.
Anders als Schülerinnen und Schüler oder die Kinder in Tagesstätten, wechseln Studierende nicht nur laufend, von Fach zu Fach, ihre Lerngruppen, sondern viele von ihnen wohnen abwechselnd im Elternhaus, im Studentenzimmer oder bei Freund oder Freundin – und die meisten kommen nicht aus der Stadt oder der näheren Umgebung, sondern pendeln aus anderen Regionen, Bundesländern und zunehmend auch wieder aus anderen Staaten ein und aus.
Viele Vermieterinnen und Vermieter gehören aufgrund ihres Alters zu den sog. besonderen Risikogruppen für eine Corona-Infektion mit schwerem Verlauf.
Es war deshalb zweifellos richtig und verantwortlich, den Lehrbetrieb an den Hochschulen des Landes auszusetzen. Auch an der Hochschule in Rottenburg.
Deren Ankündigung, aus denselben Erwägungen auch für das kommende Wintersemester von einem überwiegend digitalen Lehrangebot mit einzelnen, kurzen und klar terminierten Präsenzphasen für die Studierenden zu planen, ist Hintergrund und Anlass für den gemeinsamen Appell von Stadt und Hochschule.
Sie verweisen darin ausdrücklich auf die in „normalen Zeiten“ erhebliche wirtschaftliche Bedeutung der Studierenden als Bürger*innen und Konsument*innen in der Stadt und der Region und machen damit deutlich, dass der Zimmermarkt nicht alleine ein Angebot an die Studierenden darstellt, sondern auch eine bisher attraktive Einnahmequelle für Haus- und Wohnungseigentümer sowie die Grundlage für öffentliche, einwohnerzahl-abhängige Transferzahlungen von Bund und Land an die Stadt.
„Wir wissen, dass die Haus- und Wohnungseigentümer unsere Studierenden als Mieterinnen und Mieter sehr schätzen. Und wir nehmen außerdem wahr, dass ein ganz erheblicher Teil ihrer Konsumausgaben in der Region bleibt“, sagt der Rektor der HFR Bastian Kaiser. „Deshalb sind wir zuversichtlich, dass viele Vermieterinnen und Vermieter ihren Mietern in dieser schwierigen Situation entgegenkommen werden! Auf längere Sicht ist die Situation wieder umgekehrt. Mieten und Vermieten ist eben auch eine Solidar-Beziehung.“
Konkret schlagen Stadt und Hochschule vor, ausnahmsweise auch wochenweise zu vermieten, den Studierenden die „Weitergabe“ von Mietverträgen und Mietverhältnissen an andere HFR-Studierenden mit anderen Zeiten des jeweiligen Praxisblocks zu ermöglichen sowie die Reduktionen der Mietpreise.
„Am liebsten sind uns alle Lösungen, die es für die Studierenden auch weiterhin sinnvoll erscheinen lassen, ihren Erstwohnsitz in Rottenburg anzumelden“, erklärt Oberbürgermeister Stephan Neher, „nur dann bekommen wir dieselben Zuwendungen von Bund und Land, die von der Einwohnerzahl abhängig sind. Ein Rückgang der hier mit Erstwohnsitz gemeldeten Studierenden um 600 bis 900 Personen würde uns treffen und die ohnehin schwierige Lage zusätzlich erschweren.“
Stadt und Hochschule gehen mit diesem Appell gemeinsam einen landesweit (noch) ungewöhnlichen Weg, der jedoch aufhorchen lässt.
Sollten sie damit Erfolg haben, bestätigt sich die enge Zusammenarbeit ein weiteres Mal als außergewöhnlich und würde die Besonderheit des Hochschulstandorts Rottenburg am Neckar für seine Studierenden erneut deutlich werden.