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Japanische Forst- und Holzwirtschaft auf Wachstumskurs - Deutsch-Japanischer Tag der Forstwirtschaft geplant

Veröffentlicht am: 09. Juni 2015

Eine Delegation der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) machte sich gemeinsam mit 15 Studierenden im Rahmen einer zehntägigen Reise ein Bild vom aktuellen Entwicklungsstand der japanischen Forstwirtschaft. Ihr gehörten neben Rektor Bastian Kaiser, Projektleiter Prof. Sebastian Hein sowie dem Projektkoordinator M.Sc. Christoph End - einem Kenner der japanischen Kultur und Sprache -, mit dem Kreisforstamtschef Alexander Köberle und Revierleiter Lorenz Truffner zwei Forstbeamte aus dem Landkreis Tübingen an. Außerdem waren mit Dipl.-Ing. (FH) Sonja Fehr und M.Sc. Marius Wöhler eine Expertin für Privatwaldbelange sowie ein Fachmann für die energetische Biomassenutzung Mitglieder der Delegation.

Eine Delegation der HFR machte sich gemeinsam mit 15 Studierenden im Rahmen einer zehntägigen Reise ein Bild vom aktuellen Entwicklungsstand der japanischen Forstwirtschaft

Über acht Jahre ist es her, seit hochrangige Politiker Japans erste Kontakte zur Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (HFR) geknüpft haben. Schon damals ging es um das erklärte politische Ziel, den Holzbedarf des Landes in einem deutlich höheren Maße durch eigenes Holz zu befriedigen und die Importe zu reduzieren. Durch die Katastrophe von Fukushima 2011 und die dadurch zunehmende Bedeutung der Biomasse in den japanischen Energiekonzepten sowie durch den Japanbesuch von Ministerpräsiden Kretschmann 2013 bekamen dieses Ziel und die Rolle der HFR bei dessen weiterer Verfolgung zusätzliche Impulse.

Die Landesregierung Baden-Württemberg unterstützt seit zwei Jahren die Bemühungen der HFR durch eine Förderung ihrer Forstprojekte in und mit Japan. Darüber hinaus erhielten die Studierenden finanzielle Unterstützung für diese Reise durch eingeworbene Sponsorengelder und vom Förderverein der Hochschule.

Die Partner der HFR in ihren bisherigen Japanaktivitäten waren zuerst mehrere Universitäten in verschiedenen Präfekturen (Provinzen/Länder) sowie die landesweit zuständige staatliche Forstverwaltung Japans. Wie in Baden-Württemberg unterstützen jedoch auch vor Ort politische Akteure die enge Zusammenarbeit. Ein äußeres Zeichen dafür war der Besuch des Gouverneurs der Präfektur Gifu mit einer großen Expertendelegation in Stuttgart und Rottenburg im vergangenen Jahr.

In deutlich zunehmendem Maße integrieren sich nun auch japanische Privatwaldbesitzer sowie die im (Wieder-)Aufbau befindliche Holzindustrie des Landes. Das Projekt entwickelt somit eine sehr erfreuliche Eigeninitiative und nimmt deutlich Fahrt auf. Entsprechend setzten sich die Gesprächspartner, die Vor-Ort-Termine und Besichtigungen der Rottenburger Delegation auf dieser Reise zusammen.

Vor dem Hintergrund des starken Wirtschaftswachstums Japans und der starken Landeswährung Yen hatte man die eigene Forstwirtschaft fast 60 Jahre lang vernachlässigt und nahezu den gesamten Holzbedarf dieser Industrienation durch Importe gedeckt. Dies erstaunt umso mehr, als Japan zu den relativ waldreichsten Ländern weltweit zählt und über große Nutzungspotentiale verfügt. Deren Erschließung ist jedoch wegen vieler Steillagen, häufiger Taifune und der schlechten Infrastruktur im Landesinneren eher schwierig und war deshalb in den Zeiten eines starken Yen und billigen Holzes auf den Weltmärkten „unattraktiv“. Diese Einschätzung rächt sich spätestens seit dem Einbruch der Wirtschaftskraft nach der Tsunami- und Reaktorkatastrophe. Nun muss es darum gehen, aus wachsenden Bäumen und Wäldern auch Wachstumsbranchen in der Forst-, Holz- und Biomassenutzung anzustoßen, um den großen Erwartungen der japanischen Politik und Bevölkerung an die eigenen Wälder und die eigene Forstwirtschaft möglichst rasch, aber doch nachhaltig gerecht werden zu können.

Die Rolle der HFR ist dabei forschend, beratend, vermittelnd und lernend zugleich. Ihr ist die Integration der Holz- und Forstmaschinen-Industrie in dieses nationale Großprojekt deshalb ebenso wichtig, wie die der Studierenden beider Länder.

„Ein solches Vorhaben muss rasch Erfolge haben und braucht doch lange Zeit, um sich bewähren und etablieren zu können. Wir freuen uns deshalb sehr über das große Interesse unserer Studierenden an unseren Japanaktivitäten und über die vielen Exkursionen japanischer Forststudenten zu uns. Sie werden die Impulse dieser Kooperationsphase verfestigen und im Dialog weitertragen“, betont Rektor Bastian Kaiser, „und ebenso wichtig ist es uns, den Dialog zwischen den Praktikern beider Länder anzustoßen. Deshalb freut mich die Teilnahme der beiden Kollegen vom Kreisforstamt sehr.“

So befasste sich die Delegation mit ersten konkreten Versuchen und mit Versuchsflächen für eine dauerhafte Waldwirtschaft mit dem wirtschaftlich wichtigsten Baumarten, die von Rottenburg aus angestoßen und mitbetreut werden. Sie sollen Wege aus der in Japan üblichen Kahlschlagswirtschaft und deren fatalen Erosionsfolgen entwickeln. Außerdem wurden neue Logistikketten in der Holzernte bis hin zur Sägewirtschaft und zum Holzhausbau besichtigt, analysiert und diskutiert. Und schließlich standen politische Gespräche auf dem Programm – unter anderem der „Gegenbesuch“ beim Gouverneur der Präfektur Gifu. Die Fortschritte seit Beginn der bilateralen Kontakte zwischen der HFR und Japan sind sehr ermutigend:

„Dieses Projekt ist ein ganz hervorragendes Beispiel dafür, dass es manchmal einen formalen politischen Rahmen braucht, um in großen Herausforderungen gemeinsam weiterzukommen“, bekräftigt Prof. Hein. „Dieser Rahmen ist durch die Reise der Baden-Württembergischen Delegation unter Leitung von MP Kretschmann 2013 geschaffen worden und trägt jetzt für Wissenschaft und Wirtschaft auf beiden Seiten sichtbare Früchte. Diesen Schwung müssen wir weiter nutzen!“

Für die Studierenden der HFR war neben den vielen fachlichen Eindrücken ein Besuch im Katastrophengebiet nahe Fukushima sehr eindrücklich: Noch immer leben viele Familien in Behelfswohnungen und Containerhäusern. Der Bau eines gigantischen Deichs auf fast 600km Küstenlänge ist gleichermaßen Ausdruck für den festen Entschluss der Entscheidungsträger, nicht vor den Naturgewalten kapitulieren zu wollen und für die Ratlosigkeit und die Zweifel der Menschen, die vor viereinhalb Jahren das Vertrauen in die Sicherheit und Geborgenheit ihrer Heimat verloren haben. Es ist noch nicht ausgemacht, wie viele von ihnen zukünftig unmittelbar hinter den hohen Wänden leben wollen, die sie täglich an ihre schmerzhaften Verluste erinnern und ihnen den Blick auf das nehmen werden, was ihre Kultur seit Jahrhunderten prägt: das Meer.

Schon im September erwartet die HFR wieder eine 45 Personen große Besuchsgruppe aus Japan und für Juni 2016 hat man mit den japanischen Partnern die Organisation und Durchführung eines „Deutsch-japanischen Tages der Forstwirtschaft“ in Rottenburg geplant, bei der rd. 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft, Waldbesitz, Holz- und zu Maschinenindustrie sowie aus der Politik aus beiden Ländern miteinander ins Gespräch und zu belastbaren Arbeitskontakten kommen sollen. Der Termin ist so gewählt, dass auch die rd. 150 japanischen Expertinnen und Experten ihn mit einem Besuch der größten „forsttechnischen Leistungsschau in Europa“ (KWF-Tagung) verbinden können, die 2016 in Bayern stattfinden wird.